Die Menge an neuen Begriffen in der „Neuen
Ökonomie“ nimmt anscheinend exponentiell zu. B2B, B2C,
e-commerce, e-book, e-mail, e-gitt e-gitt.
Was sich unter Umständen hinter diesen
geheimnisvollen Kürzeln verbirgt, analysiert der Amerikaner
John Rifkin in dem Buch „Access - vom Verschwinden des
Eigentums“.
Vielleicht hat manche/r schon davon
gehört, dass die Nummer 1 der Sportwelt, Nike, keine
Produktionsstätte besitzt. Nike beschäftigt
ausschließlich Subunternehmen, die in seinem Namen die
teuren Markenschuhe in Billiglohnländern produzieren. Nike
besitzt, überspitzt ausgedrückt, nichts außer einem guten
Namen und Lizenzen, also immateriellem Vermögen.
Die Eigentümer von Mc Donald’s
erkannten ebenfalls sehr schnell, dass das Verkaufen einer
Idee mehr Geld bringt als das Verkaufen von schlichten
Hamburgern. Die meisten Filialen von Mc Donald’s gehören
folgerichtig nicht Mc Donald’s, sondern Menschen, die
dem amerikanischen Konzern viel Geld dafür geben, damit sie
dann das tun müssen, was dieser ihnen vorschreibt. Das
nennt sich Franchising, und die Franchisenehmer, also jene,
die zahlen, leben oft in dem Glauben, freie Unternehmer zu
sein. In Wirklichkeit sind sie weder frei - Mc Donald’s
legt zum Beispiel auf 600 Seiten fest, wie die Küche des
Franchisenehmers zu organisieren ist - noch Unternehmer. Sie
haben nämlich nicht einmal das Recht für die
Namensverwendung Mc Donald’s gekauft, sondern nur auf
Zeit „gemietet“.
Und wer registriert schon die Bedeutung
der Tatsache, dass IBM Sachanlagen von 16,6 Mrd. $
besitzt, Microsoft hingegen „bloß“ 1/16 davon? Dennoch
liegt der Wert von Microsoft 15% über dem von IBM.
Eigentum von materiellen Gütern, so die
Hauptthese von Rifkin, wird allmählich zur Belastung von
Unternehmen. Und: der Eigentumsbegriff wird aufgeweicht.
Wem gehören wir?
Moore, ein Patient mit einer seltenen
Krebserkrankung, weiß am Besten, was diese seltsame Frage
bedeuten soll. Aus seinem kranken Gewebe wurde ein Mittel
gegen Krebs erstellt und patentiert. Als der Patient in
einem Gerichtsverfahren das Eigentum an seinem - so
vermutete der Patient - eigenen Gewebe für sich
reklamierte, erfuhr er per Gerichtsbescheid des obersten
Gerichtes von Kalifornien, dass er kein Eigentumsrecht an
seinem Körper hat. Seine Zellkette war das geistige
Eigentum der Forscher geworden! Weltweit patentiert und
gewinnträchtig.
„Dieser Fall zeigt die Einstellung des
neuen Zeitalters: Das materielle Eigentum am eigenen Gewebe
gilt nichts, immaterielles Eigentum dagegen erfährt
Aufwertung und rechtlichen Schutz.“ (Rifkin, S. 96)
Ökonomie wandelt sich von einer
Organisation des Eigentums zu einer des Zugriffs, des
Access. Sachwerte werden zu einer Bremse der betrieblichen
Entwicklung. Erfolgreich am neuen Markt der Anbieter und
Nutzer - nicht mehr der Verkäufer und Käufer - sind jene
Unternehmen, die statt materieller Werte immaterielle
anhäufen.
Als Vorbild dient Hollywood. Dort
produzierten lange Zeit einige Unternehmen Filme quasi am
Fließband und waren zugleich Eigentümer dieser
Produktionsstätten. In den 40-er Jahren folgte der Einbruch
durch Entstehen des Fernsehens. Das war weitgehend gratis,
außerdem musste niemand die Wohnung verlassen und konnte in
Hausschuhen dem filmischen Geschehen folgen. Die
Filmindustrie stellte sich bereits in den 50-er Jahren
erfolgreich um und produzierte in der Folge durch
Auslagerung, durch Vernetzung. Sogenannte „Freie
Unternehmen“ entstanden, die sich auf bestimmte Teile der
Produktion spezialisierten. Von Produktion zu Produktion
bilden diese „freien“ Unternehmen projektbezogene
Arbeitsgemeinschaften, die nach Abschluss der Produktion
enden. Die verbliebenen Produktionsgiganten produzieren
nicht mehr selbst, sondern stellen das (Geld)Kapital zur
Verfügung. Und behalten damit sowohl die Macht über das
Geschehen, als auch den Großteil der Gewinne. Materiell
sind diese Unternehmen kaum noch vorhanden - sie haben kein
Eigentum an Sachkapital -, immateriell beherrschen sie
weiter den Markt.
Ein weiteres Beispiel ist die
Encyclopeadia Britannica. In den USA kostete die 32-bändige
Gesamtausgabe 1.600 $. Als Bill Gates eine digitalisierte
Ausgabe auf CD vermarkten wollte, weigerte sich das
Unternehmen, diesem Vorschlag zuzustimmen. In der Folge
brachte Microsoft die CD-ROM Encarta heraus, sie kostete
50$. Der Erfolg war so immens, dass der Verlag der
Encyclopeadia Britannica eine Online-Version seines Buches
herausbringen musste. Um 85$ gibt es nun einen unbegrenzten
Zugang zur Encyclopeadia Britannica!
„Encyclopeadia Britannica
entmaterialisierte sich buchstäblich zu einem reinen
Dienstleistungsangebot.“ (S. 118)
Die Entstehung dieses „schwebenden
Kapitalismus“ hat für Rifkin natürlich auch Folgen
im individuellen Bereich. Die neuen Persönlichkeiten der „dot
com Generation“ stehen in einem direkten Zusammenhang
von der Entwicklung der Tugend im Mittelalter zum Charakter
des 19. Jahrhunderts bis zur heutigen Persönlichkeit
des neuen Jahrtausends.
Die dramatische Persönlichkeit
„Wir leben in einer Welt, in der es vor
allem darum geht, die Aufmerksamkeit anderer zu erringen und
zu halten; Beziehungen jeglicher Art werden entscheidend
für unsere Existenz. Es gibt praktisch keine eigene Zeit
mehr; jeder freie Augenblick wird zu einer Gelegenheit, eine
andere Verbindung zu knüpfen.“ (S. 281)
Wer jemals versucht hat, eine
zehnminütige Besprechung ohne Piepsen eines Handys - eine
Tonfolge von Beethovens „Für Elise“ ist heute
Mindeststandard - zu überstehen, weiß, was damit gemeint
ist.
„Das epochemachende Diktum von
Descartes: ‚Ich denke, also bin ich’, wird durch ein
anderes ersetzt: ‚Ich bin verbunden, also existiere ich’.“
(S. 281)
Positiv gesehen birgt diese Entwicklung
die Chance, dass Menschen von Arbeitern zu Konsumenten
wurden und nun schließlich kreative Darsteller ihres
eigenen Lebens werden. In der Realität wird sie durch die
Kommerzialisierung dieser Tendenzen ins Negative verkehrt.
Der selbstbewusste „Darsteller“ des
eigenen Lebens bleibt die Ausnahme. Die Regel werden
Konsumenten, die nicht mehr nach materiellen Gütern
trachten, sondern nach einem „Image“, das ihnen von
Unternehmen verkauft wird.
Leben ist keine selbst gemachte Erfahrung
mehr, sondern wird im Supermarkt der Erfahrungsanbieter
gegen Entgelt verkauft.
Die Tourismusbranche etwa hat den „Event“
erfunden, den Club Mediterranée, den Survivalurlaub und
vieles mehr. In Curacao schloss ein Tourismusunternehmen mit
dem 80-jährigen John Scoop, Sohn eines Sklaven, einen
Vertrag: Er lebt seither im strohgedeckten ehemaligen
Sklavenhaus seiner Eltern, Touristen können ihm bei seinem
Leben zuschauen und ein wenig, ohne Gefahr, erschauern.
Das Leben, ein Film.
Allerdings, all das ist nur für einen
kleinen Teil der Menschheit kaufbar, der große Rest dient
als Zulieferer, als Bühnenhintergrund.
„Typisch für diesen Trend ist der
geplante Bau des Yellowstone Club. ... Er ist für Menschen
gedacht, die bereit sind, für den Zugang großzügig zu
bezahlen. Die Anwärter für den Klub müssen über ein
Vermögen von mindestens 3 Millionen $ verfügen, um in den
exklusiven Kreis der 864 möglichen Mitglieder aufgenommen
zu werden. Die Aufnahmegebühr beträgt 250 000 US-Dollar,
dazu kommen jährlich weitere Beträge in der Höhe von 16
000 Dollar.“ (S. 204)
Man sieht, ein schönes, naturverbundenes
Leben wird immer teurer.
Jeremy Rifkin, Access - Das Verschwinden des Eigentums
Campus-Verlag
424 Seiten
ATS 364.-
Empfehlenswert für alle, die im allgemeinen
wirtschaftlichen Trubel einen Überblick behalten möchten!
Erich Ledersberger
|