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Vielleicht haben die Berater des damaligen
Bundeskanzler Vranitzky das Buch "Die blinde
Elite" vor den damaligen Wahlen gelesen, als
sie ihn nicht zu den ersten TV-Konfrontationen antreten
ließen.
"Ein Kandidat, der den Mut
aufbrächte, sich der Teilnahme an den von den Medien
organisierten "Debatten" zu enthalten, würde sich
automatisch von den anderen abheben und sich den Respekt der
Bevölkerung verdienen." (S. 185)
Wenn sie das getan haben, sollten sie den
Text noch genauer lesen. Der amerikanische Historiker
Christopher Lasch beschreibt in seinem letzten Buch - er
starb 1995 - den Zustand der westlichen Demokratien anhand
ihrer Eliten. Es sind gesammelte Artikel zu Themen wie
"Kommunikation", "Bildung",
"Soziale Unterschiede". Vorangestellt ist ihnen
sozusagen das Motto, dass die "Eliten den Kontakt
mit der Bevölkerung verloren haben." Seien es jene
aus der Wirtschaft oder jene aus der Politik:
"Die neuen Eliten sind nur im
Transit zu Hause, auf dem Weg zu einem wichtigen Kongress,
zur festlichen Eröffnung einer neuen Firmenkette..... Ihre
Weltsicht ist im wesentlichen touristisch, eine Perspektive,
die nicht gerade geeignet ist, ein leidenschaftliches
Engagement für die Demokratie hervorzubringen."
Die neuen Eliten: entwurzelte Figuren,
die keine Verantwortung übernehmen, sondern ausschließlich
damit beschäftigt sind, die Karriereleiter emporzuklettern,
immer mobil, solange, bis sie umfallen.
"Die Denationalisierung geht mit der
Herausbildung einer Klasse von Kosmopoliten einher, die sich
selbst als Weltbürger verstehen, ohne jedoch auch nur einen
geringen Teil der Verpflichtungen zu übernehmen, die
normalerweise mit der Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen
verbunden sind." (S.59)
Ein rein amerikanisches Problem? Als
unsere Politiker sich betroffen zeigen mussten und zum
Begräbnis jener vier ermordeten Roma eilten, lang, lang
ist's her, fanden sie dort Verhältnisse vor, die sie nicht
für möglich hielten. Solche Zustände darf es in
Österreich nicht mehr geben, riefen sie kraftvoll in die
Kamera. Jahre später berichten einige Zeitungen davon, dass
sich nichts geändert hat. Oberwart ist weit weg von der
Welt der Politiker, weiter als Brüssel oder New York.
In diesem Buch werden einige heilige
Kühe geschlachtet. Vielleicht haben sie tatsächlich BSE.
Mobilität etwa, das vielgelobte Wort, wird bei Christopher
Lasch umgedreht: Das ist plötzlich kein Symbol für einen
heilsamen Pfad zu mehr Wohlstand, sondern für einige eine
Luxusallee in Richtung Heimatlosigkeit. Am Ziel angelangt,
halten sich die Eliten für multikulturell, dabei sind sie
nur in einem Supermarkt gelandet, aus dessen Regalen sie
exotische Kleidungsstücke, exotische Küche und exotische
Stammesbräuche ziehen.
Und weil in den Regalen schließlich das
immer Gleiche liegt, sind sie bei dem angekommen, was sie
verachten: der Gleichförmigkeit. Unterwegs haben sie
einiges verloren, aber das macht nichts, denn nun können
sie sich auch Seelsorger leisten, die ihnen sagen, was sie
tun sollen, damit ihnen der Verlust nicht auffällt.
Und so verfährt Christopher Lasch auch
mit anderen gelobten Begriffen der globalen Nation Erde:
Kommunikation sei das Heil, sie würde das Bildungsniveau
heben und überhaupt würde eine neue, wunderbare Welt
entstehen. Von wegen, meint Christopher Lasch, wo sind denn
die hochqualifizierten Arbeitsplätze, das "Wegfallen
unangenehmer Jobs .... Im Gegenteil: Es ist die
auffälligste Folge dieser Innovation, daß sie die Kluft
zwischen den gebildeten Schichten und dem Rest der
Bevölkerung vertiefen." (S. 180)
Und wenn dann auch noch die
Leistungsgesellschaft angegriffen wird samt ihren
mächtigsten Befürwortern, den Medien, dann wird
Christopher Lasch rasch des Konservativismus geziehen, wie
vor einiger Zeit in Ö1. Dass damit genau jenes Mittel der
Abwehr verwendet wird, das Christopher Lasch in seinem Buch
beschreibt, wird geflissentlich übersehen.
Tatsächlich steht in diesem Buch etwas
ganz anderes, ja Grässliches:
Dank der routinemäßigen Einführung von
Intelligenztests in der Industrie, der Aufgabe des
Senioritätsprinzipes bei Beförderungen .... erhielten die
Talentierten die Möglichkeit aufzusteigen, während die
geringeren Klassen für jene reserviert blieben, die über
geringere Fähigkeiten verfügten. .... Es war die
zunehmende Erkenntnis, dass Menschen nach einem einzigen
Kriterium beurteilt werden sollten, nämlich wie weit sie
zur Steigerung der Produktion
beitragen." (S. 53)
Konservativ? Wohl eher ein Angriff auf
jene Generation liberaler und fortschrittlicher Menschen,
die früher eine sozial gerechtere, gar klassenlose
Gesellschaft forderten. Nun sollen sie plötzlich selbst
eine Klasse Privilegierter sein? Bloß weil sie erfolgreich
sind? Nein, unmöglich, also ist Christopher Lasch
konservativ, natürlich in negativem Sinne.
Von der Arroganz der Macht sind auch jene
befallen, die behaupten, sie zu kontrollieren. Der Gedanke,
dass eine herrschende Klasse auch OHNE Eigentum an
Produktionsmittel denkbar, womöglich bereits Realität ist,
wird auf der Stelle verdrängt. Das entbindet von jeglicher
Verantwortung.
Der Zusammenhang zwischen Sinn und Tun,
zwischen Theorie und Praxis ist verlorengegangen. Anstelle
dessen ist die Herrschaft der Medien getreten.
"Die Medien-Etikette verlangt, dass
alle Kandidaten mit derselben Ausstrahlung auftreten:
optimistisch, zuversichtlich, unbesorgt. daher wirken sie so
wenig real."
Das ist keine Beschreibung der Sendung
"Herzblatt", es geht um Politiker. Aber so groß
ist der Unterschied nicht, die einen wollen Partner für
eine Nacht oder länger, die anderen Partner bei der
nächsten Wahl. Als ich Monika Langthaler, sie war damals
noch politisch tätig, auf dem Titelblatt von News sah,
hatte sie diese seltsamen Rollschuhe an, die anders heißen,
weil sie die Rollen hintereinander statt nebeneinander
haben. Monika lachte mich strahlend bunt an. Das also ist,
um es mit Christopher Lasch zu sagen, die neue grüne Elite.
Sieht genauso aus wie die rote, schwarze und blaue.
Und weil sich unsere PolitikerInnen alle
so ähnlich schauen, sollten sie alle dieses Buch lesen und
darüber nachdenken, statt es zu konsumieren. „Die blinde
Elite“ ist ein gescheites Buch, aber das sollte kein
Hindernis sein für seine Lektüre.
Christopher Lasch: Die blinde Elite - aus
dem Amerikanischen von Olga Rinne
Hoffmann und Campe
erschienen 1995
293 Seiten
ATS 295.-
Erich Ledersberger
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